
Jüdisches Leben in Deutschland steht laut dem Weißen Ring auf dem Rückzug. Barbara Richstein, die neue Bundesvorsitzende des Vereins, äußerte sich besorgt über die wachsende Angst innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Diese Angst resultiert insbesondere aus einem alarmierenden Anstieg antisemitischer Straftaten, die seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und dem damit verbundenen Krieg in Gaza stark zugenommen haben.
Richstein stellte fest, dass viele Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft ernsthaft erwägen, Deutschland zu verlassen, um sich vor möglichen Gewalttaten zu schützen. Sie betonte die Notwendigkeit, gegen Antisemitismus einzutreten, unabhängig von dessen politischer Ausrichtung.
Der Anstieg antisemitischer Straftaten
Im Jahr 2024 wurden mehr als 33.000 rechtsextreme Straftaten in Deutschland registriert, die höchste Zahl seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2001. Zur gleichen Zeit zählte die Polizei bis September 2024 über 3.200 antisemitisch motivierte Straftaten, was einer Verdopplung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Diese alarmierenden Zahlen verdeutlichen das Ausmaß des Problems, das in den letzten Monaten durch den Konflikt im Nahen Osten weiter verschärft wurde. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden rund 10.770 Straftaten im Kontext des Konflikts gemeldet, davon entfallen 4.300 auf antisemitische Beweggründe.
Die Schwerpunkte dieser antisemitischen Straftaten sind Sachbeschädigungen, Propagandadelikte und Volksverhetzungen. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (BV RIAS) beschreibt in einer aktuellen Studie, dass Antisemitismus in Deutschland stark durch rechtsextreme Einflüsse geprägt ist. Zwischen 2019 und 2023 wurden tausende antisemitische Vorfälle dokumentiert, und ein steigender Trend nach dem Terrorangriff der Hamas und dem darauffolgenden Gaza-Krieg wurde festgestellt.
Institutionelle Reaktionen und gesellschaftliche Auswirkungen
Die Studie des BV RIAS zeigt auf, dass Antisemitismus über das rechtsextreme Milieu hinausgeht. Trotz der erfassten Vorfälle bleibt eine hohe Dunkelziffer bestehen. Bei lediglich 44 Prozent der 13.654 Vorfälle konnte der politische Hintergrund eindeutig benannt werden. Ein Drittel dieser Vorfälle weist rechtsextreme Hintergründe auf. Antisemitismus schweißt verschiedene rechtsextreme Akteure zusammen, wie die neue Rechte, die AfD und auch Fußballfans.
Zudem wurde im Bundestag eine Resolution zur Bekämpfung von Antisemitismus verabschiedet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte die Verantwortung der Regierung zum Schutz der jüdischen Bevölkerung. Ein Erfahrungsbericht von Ekaterina Kulakova, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, unterstreicht die Herausforderungen, mit denen die Gemeinschaft konfrontiert ist. Dort kommt es regelmäßig zu Schmierereien an der Synagoge und am jüdischen Friedhof, was die Sicherheitsmaßnahmen für die Gemeinde erheblich verschärft hat.
Trotz all der Besorgnis gibt es auch positive Entwicklungen. Im Sommer 2024 wurde eine neue Synagoge in Potsdam eröffnet, wenngleich der Zugang für Besucher eingeschränkt bleibt. Diese Initiative zeigt, dass jüdisches Leben in Deutschland durchaus aktive Formen annimmt, trotz der wachsenden Bedrohungen. Dennoch bleibt die Situation für viele Jüdinnen und Juden besorgniserregend, und die Debatte über den Schutz und die Sicherstellung jüdischen Lebens in Deutschland bleibt dringlich.